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//-->Vorwortln Bielany gastierte letzte Woche ein Zirkus,Tierschützer öffneten dem Tiger das Gitter.R.ScheererIch bin die, die nicht ankommen mussWarum trifft man in Warschau freilaufende Tiger undfreistehende Sofas? Wohin kommt man, wenn man die Fingernicht von alten Knochen auf einem deutschen Friedhof inOsteuropa hat lassen können? Warum haben DDR-Bürger ihrLand,FluchtArtig'verlassen? Weht seit dem ,Prager Sommer'1989 überall ein frischer Westwind? Warum schmust eineportugiesische Putzfrau auf der Herrentoilette einesinternationalen Flughafens mit einem Kaninchen? Wo treibensich unsere Schatten herum?Was bedeutet es, fremd zu sein, den Argwohn der,Alteingesessenen' zu spüren oder selbst jemanden seineEigenartigkeit schmerzhaft spüren zu lassen? Was und wo istunser Zuhause, wie machen wir uns eine feindliche Umgebungzur Wohnstätte, was heißt es, irgendwo anzukommen? Ist dienationale Identität in der modernen Welt nicht ein antiquierterWert? Wie wird die Fremderfahrung im Ausland zu einer tiefgreifenden existentiellen Einsicht? Diese brennenden Fragenbewegen die Autorinnen und Autoren der Prosa und Lyrikdieses außergewöhnlichen Bandes, der um 'den schwerdefinierbaren Begriff ,Europa' kreist.Das Buch entstand auf ungewöhnliche Art und Weise - es istdas Ergebnis des persönlichen Engagements von MagdalenaLiskowskiundlsabellaPotrykus, zweiüberzeugtenBerlinerinnen. Inspiriert unter anderem durch die Vorlesungenvon Prof. Heinrich Olschowsky an der Humboldt-Universitätentwickelten sie Anfang 2003 die Idee, einen literarischenWettbewerb zu organisieren. Einerseits wollten sie denAutorinnen und Autoren der mitteleuropäischen Länder, diejetzt der Europäischen Union beitreten, die Möglichkeit einersubjektiven, persönlichen literarischen Auseinandersetzung mitdem Problem der europäischen Identität geben, andererseits10sollten auch interessierte deutsche Leser von den Gedanken,Gefühlen und der StandortbestimmungimZusammenhang mitder EU-Erweiterung erfahren. Den beiden Frauen ist esgelungen, eine erfrischende Alternative, Ergänzung undInspiration für aktuelle politische Debatten zu schaffen.MitihremEnthusiasmushabendieLiteraturwissenschaftlerinnen, selbst künstlerisch tätig, dieLehrkräfte der Slawistik für ihr Projekt gewinnen können. Prof.Witte gewährleistete im Namen des Instituts die finanzielleUnterstützung, Prof. Olschowsky, Prof. Kunzmann-Müller, Prof.Zajac und Prof. Kulcsar-Szabo und erklärten sich bereit, dieJury-Arbeit zu übernehmen. Aber auch viele andereInstitutionen, u.a. das Ungarische Institut (Herr Mehesh) unddie Polnische Botschaft (Herr Lesniak), zeigten großesInteresse und unterstützten das Projekt geistig und finanziell.lza Potrykus und Magda Liskowski haben die gesamteKoordinierungsarbeit übernommen, die Vorauswahl der Textegetroffen und alle anderen Beteiligten - auch angesichtsunvermeidlicher Schwierigkeiten - unermüdlich motiviert undunterstützt. Sie haben diesem Projekt ein Jahr ihres Lebensgewidmet.Das Ergebnis übertraf ihre Erwartungen. Mehr als 400 Arbeitenin sechs Sprachen (Deutsch, Tschechisch, Polnisch, Ungarisch,Slowakisch, Slowenisch) wurden eingesandt. Es überwog diepolnische und die ungarische Problematik. Die Texte stammensowohl von bekannten Autorinnen und Autoren als auch vonsolchen, die noch nie veröffentlicht haben. DeutscheWettbewerbsteilnehmer - und dies ist die größte Gruppe unterden Gewinnern- zeigen eine große Faszination für postkommu-nistische Länder und das Bedürfnis der Revision überkom-mener nationaler Stereotype. Doch nicht der Ton einerfestgefahrenen politischen Diskussion, sondern sanfte Ironie,oftmals bitterer Humor und nicht selten die Ästhetik desGrotesken und Paradoxen bestimmen die meistenihrerliterarischen Imaginationen. Gängige Klischees werden zumeinen spielerisch aufgegriffen und dekonstruiert, zum anderenaber beweisen sie überraschend (nein, nicht das,KörnchenWahrheit'!) ihre immer noch aktuelle, destruktive Macht.lnderBegegnung mit fremden Kulturen, z.B. durch Freundschaft mit,Ausländern'im eigenen Land, werden junge Deutsche mit demheutigen Fremdenargwohn konfrontiert, aber auch von der totgeglaubten Vergangenheit ihrer eigenen Nation eingeholt,11Ich bin der, der angekommen ist. Magdalena Liskowski und Isabella Potrykus (Hg.), Berlin 2004überrumpelt, überfordert. Sie wissen nicht, ob sie dieVerantwortung weit von sich weisen oder diese mittragen sollen- dort, wo eine Slowenin auf einem U-Bahnhof wegen ihrerHerkunft belästigt wird, dort, wo die "Grenzen dertschechischen Frauen" von deutschen Grenzgängern verletztwerden.Auf Reisen lassen sich die deutschen Figuren von der fremdenKultur berühren, vom Anderssein inspirieren. Sie üben sich imvorurteilslosen, aufmerksamen Wahrnehmen dessen, was daist, lassen sich auf Gespräche mit den ,Einheimischen' ein -Gespräche über Probleme und Profite, die die EU-Erweiterungmit sich bringen wird, über Armut, Konflikte in multiethnischenGesellschaften, Hoffnungen. Doch auch hier folgt denDeutschen die eigene Vergangenheit auf Schritt und Tritt.Plötzlich finden sie sich auf einem alten deutschen Friedhof miteinem Schädel in der Hand wieder oder gebannt derGeschichte eines Verrückten lauschend, der am Kriegsende alsLeuchtturmwächter die Torpedierung mehrerer deutscherSchiffe mit Flüchtlingen miterlebt und den Verstand verlorenhat. Doch selbst an diesem Entrückten weht der,frischeWestwind' nicht ganz vorbei. Attribute der modernen westlichenWelt, die auch er in seiner Sprache aufgreift, wirken wieAufkleber, wie etwas Künstliches, Unechtes, Kitschiges, stehenim Widerspruch zu alten Lebensformen, wecken Angst undFaszination, rufen Auflehnung und Beifall hervor.Die Figuren der nicht-deutschen Autorinnen und Autorensuchen ihren Platz in Deutschland, pendeln zwischen ihremneuen und ihrem alten Land, machen Erfahrungen desAusgestoßenseins, aber auch der Zweitrangigkeil nationalerZuordnungen. Manchmal, von schlimmen Erfahrungenüberwältigt, urteilen sie vorschnell über ihr neu es ,Zuhause',flüchten sich in Abgrenzung und Zurückhaltung. Ein anderesMal erzürnen sie sich über ihre Ursprungskultur, die ihnenübertriebeneEhrerbietung,Respekt undPatriotismusabverlangt, die sie nicht mehr geben köpnen, ihnen Werteaufzwingt, für die sie nicht mehr sterben wollen. Die meistenvon ihnen leben in Zerrissenheit, einige scheinen vonVerwicklungen der Nationalzugehörigkeit fast befreit zu seinund dadurch eine Leichtigkeit im Umgang mit der eigenen undden fremden Kulturen zu erlangen. Hier lauern andereGefahren auf sie - die der Unverbindlichkeit und derOrientierungslosigkeit.12Viele dieser literarischen Vagabunden kommen in Deutschlandnie an. Und darauf kommt es ihnen auch gar nicht an. IhrWunsch ist, bei sich selbst anzukommen - den eigenenZwiespalt nicht verleugnen zu müssen, sich selbst und anderein ihrer Besonderheit respektieren zu können, einunverwechselbarer Mensch mit eigener Geschichte undAbstammung sein zu dürfen, hier oder dort. Die Grenzen sollenweit geöffnet, aber nicht unbedingt verwischt werden. Aus denweit aufgesperrten Käfigen müssen auch die Bestien heraus -die Schatten, die tabuisierten Themen, das Peinliche,Verlogene, Verschwiegene - auch oder vor allem das, was amBild unserer eigenen Nation kratzt, was auch immer diesesWort bedeuten mag.Brigitta Helbig-Mischewski13Ich bin der, der angekommen ist. Magdalena Liskowski und Isabella Potrykus (Hg.), Berlin 2004 [ Pobierz całość w formacie PDF ]

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